Das angelsächsische Runengedicht

Heute weiß man nicht mit Sicherheit, ob die Runennamen zum Gedicht gehörten. Da auf ihnen jedoch der Stab liegt und sie das Subjekt des Verses darstellen, spricht einiges dafür. Acht Runen des älteren Futhark werden in diesem Gedicht belegt; sie kommen in den skandinavischen Runengedichten nicht mehr vor, da diese sich nur auf das jüngere Futhark konzentrieren.

Insgesamt sind in dem Gedicht 31 Runen verzeichnet, aber nur zu 29 wurden Strophen gedichtet.

Der Mensch, der im Gedicht immer wieder angesprochen wird, hat die gesellschaftliche Stellung eines Gefolgsmannes von einem Fürsten inne. Auffallend sind zahlreiche Synonyme für den Krieger. Die moralischen Aufforderungen haben einen stark christlichen Charakter, mehrmals wird außerdem Gott erwähnt.

 

Absätze und der Längsstrich im angelsächsischen Original sind eingefügt, um den Verscharakter des Gedichtes nachzuempfinden.

Altenglisch nach Georges Hickes

1.

Feoh byþ frofur | fira gehwylcum

sceal ðeah manna gehwylc | miclun hyt dælan

gif he wile | for drihtne domes hleotan. 

 

2.

Ur byþ anmod | and oferhyrned

felafrecne deor | feohteþ mid hornum

mære morstapa | þæt is modig wuht. 

 

 

 

3.

Ðorn byþ ðearle scearp | ðegna gehwylcum

anfen-gys yfyl | ungemetum reþe

manna gehwylcum | ðe him mid resteð. 

 

4.

Os byþ ordfruma | ælcre spræce

wisdomes wraþu | and witena frofur

and eorla gehwam | eadnys and to hiht. 

 

 

 

 

5.

Rad byþ onrecyde | rinca gehwylcum

sefte and swiþhwæt | ðam ðe sitteþ onufan

meare mægen heardum | ofer mil paþas. 

 

 

6.

Cen byþ cwicera gehwam | cuþ on fyre

blac and beorhtlic | byrneþ oftust

ðær hi æþelingas | inne restaþ. 

 

 

7.

Gyfu gumena byþ | gleng and herenys

wraþu and wyrþscype | and wræcna gehwam

ar and ætwist | ðe byþ oþra leas. 

 

8.

Wen-ne bruceþ | ðe can weana lyt

sares and sorge | and him sylfa hæfþ

blæd and blysse | and eac byrga geniht. 

 

 

9.

Hægl byþ hwitust corna | hwyrft hit of heofones lyfte

wealcaþ hit windes scura | weorþeþ hit to wætere syððan. 

 

10.

Nyd byþ nearu on breostan | weorþeþ hi ðeah oft niþa bearnum

to helpe and to hæle ge hwæþre | gif hi his hlystaþ æror. 

 

11.

Is byþ ofer cealdunge | metum slidor

glisnaþ glæs hluttur | gimmum gelicust

flor forste ge worulit | fæger ansyne. 

 

 

12.

Ger byþ gumena hiht | ðon god læteþ

halig heofones cyning | hrusan syllan

beorhte bleda | beornum and ðearfum. 

 

 

 

13.

Eoh byþ utan | unsmeþe treop

heard hrusan fæst | hyrde fyres

wyrtrumun underwreþyd | wynan on eþle. 

 

 

14.

Peorð byþ symble plega | and hlehter

wlancum [...], ðar wigan sittaþ

on beor sele | bliþe æt somne. 

 

15.

Eolhx seccard hæfþ | oftust on fenne

wexeð on wature | wundaþ grimme

blode breneð | beorna gehwylcne

ðe him ænigne | onfeng gedeð. 

 

16.

Sigel se mannum | symble biþ on hihte

ðon hi hine feriaþ | ofer fisces beþ

oþ hibrim hengest | bringeþ to lande. 

 

 

 

17.

Tir biþ tacna sum | healdeð trywa wel

wiþ æþelingas | a biþ onfærylde

ofer nihta genipu | næfre swiceþ. 

 

 

18.

Beorc byþ bleda leas | bereþ efne spa ðeah

tanas butan tudder | biþ on telgum wlitig

þeah on helme | hrysted fægere

geloden leafum | lyfte getenge. 

 

 

 

19.

Eh byþ for eorlum | æþelinga wyn

hors hofum wlanc | ðær him hæleþe ymb

welege on wicgum | wrixlaþ spræce

and biþ unstyllum | æfre frofur. 

 

 

 

20.

Man byþ on myrgþe | his magan leof

sceal þeah anra gehwylc | odrum swican

for ðam drihten wyle | dome sine

þæt earme flæsc | eorþan betæcan. 

 

 

 

21.

Lagu byþ leodum | langsum geþuht,

gif hi sculun neþun | on nacan tealtum

and hi sæ yþa | spyþe bregaþ

and se brim hengest | bridles ne gym. 

 

 

 

 

22.

Ing wæs ærest | mid eastdenum

ge sewen secgun | oþ he siððan est

ofer wæg gewat | wæn æfter ran

ðus heardingas | ðone hæle nemdun. 

 

 

23.

Eþel byþ ofer leof | æghwylcum men

gif he mot ðær rihtes | and gerysena on

brucan on blode | bleadum oftast. 

 

 

24.

Dæg byþ drihtnes sond | deore mannum

mære metodes leoht | myrgþ and to hiht

eadgum and earmum | eallum brice. 

 

 

 

25.

Ac byþ on eorþan | elda bearnum

flæsces fodor | fereþ gelome

ofer ganotes bæþ | garsecg fandaþ

hwæþer ac hæbbe | æþele treowe. 

 

 

 

26.

Æsc biþ ofer heah | eldum dyre

stiþ on staþule | stede rihte hylt,

ðeah him feohtan on | firas monige. 

 

27.

Yr byþ æþelinga | and eorla gehwæs

wyn and wyrþmynd | byþ on wicge fæger

fæstlic on færelde | fyrd geacewa sum. 

 

 

 

28.

Iar byþ ea fixa | and ðeah abruceþ

fodres onfaldan | hafaþ fægerne eard

wætre beworpen | ðær he wynnum leofaþ. 

 

 

 

 

29.

Ear byþ egle | eorla gehwylcun,

ðonn fæstlice | flæsc onginneþ

hrawcolian | hrusan ceosan

blac to gebeddan | bleda gedreosaþ

wynna gewitaþ | wera geswicaþ.

Übersetzung nach Alessia Bauer

1.

f Reichtum ist Trost für jeden Menschen

jedoch soll jeder es reichlich austeilen,

wenn er vor Gott Anerkennung verdienen möchte.

 

2. 

u Auerochse ist wild und gehörnt,

ein ungezähmtes Tier, es ficht mit den Hörnern,

berühmter Durchstreifer der Moore; das ist ein prächtiges Wesen.

 

3.

þ Dorn ist sehr scharf für jeden Menschen,

sein Anfassen ist schädlich, er ist sehr hart

für jeden, der auf ihm ausruht.

 

4.

o Mund/Odin? ist der Ursprung jeglicher Sprache,

die Stütze der Weisheit und der Trost der Klugen,

und jedem Menschen Freude und Hoffnung.

 

5.

r Reiten ist daheim jedem Krieger

angenehm, jedoch anstrengend für den,

der auf kräftigem Ross über lange Wege fährt.

 

6.

c Kien ist jedem Lebenden bekannt im Feuer,

glänzend und hell brennt er dauernd,

dort wo die Fürsten innen ausruhen.

 

7.

g Gabe ist der Menschen Ehre und Lob,

Stütze und Ruhm, sie bringt jedem

Hilfe und Unterstützung, der nichts anderes besitzt.

 

8.

w Wonne genießt, wer wenig von Leid,

Wunde und Sorge weiß, und selbst

Wohlstand und Freude und auch Burgen genug hat.

 

9.

h Hagel ist das weißeste aller Körner, es wird herabgewirbelt aus Himmelsluft.

Windes Schauer treiben es, dann wird es zu Wasser.

 

10.

n Not ist bedrückend, jedoch wird sie oft für die Menschenkinder

zur Quelle von Hilfe und Rettung, wenn sie diese rechtzeitig erkennen.

 

11. 

i Eis ist extrem kalt, sehr glatt,

glänzt glasklar, ähnelt den Edelsteinen:

Flur von Frost gemacht, wunderschöner Anblick.

 

12.

j (Gutes) Jahr ist der Menschen Hoffnung, wenn Gott,

der heilige Himmelskönig, die Erde

herrliche Früchte für Reiche und Arme hervorbringen lässt.

 

13.

ï Eibe ist außen ein rauer Baum,

hart, felsenfest, Bewacher des Feuers,

durch Wurzeln befestigt, Freude auf eigenem Land.

 

14.

p peorð? ist immer Spiel und Scherz

den Stolzen ..., wo Krieger

im Metsaal fröhlich zusammensitzen.

 

15.

x Schilf? wurzelt meistens im Sumpf,

wächst im Wasser, verwundet grimmig,

bedeckt mit Blut jeden Menschen,

der mit ihm in Berührung kommt.

 

16.

s Sonne ist den Seeleuten Quelle von Freude,

wenn sie über Fisches Bad (→ Meer) fahren,

oder das Meerross (→ Schiff) sie an Land bringt.

 

17.

t Tir? ist ein Zeichen (= Sternbild?), häkt Treue wohl

bei Fürsten, ist immer auf der Fahrt

über die Wolken der Nacht, es trügt nie.

 

18.

b Birke ist fruchtlos und trägt

Zweige ohne Samen. Sie ist in den Ästen schön,

hoch in der Spitze und schön geschmückt,

bewachsen mit Blättern, sie reicht zum Himmel.

 

19. 

e Pferd ist bei den Menschen die Freude der Fürsten,

Ross auf Hufen stolz, wo untereinander Helden darüber

gewaltige Worte wechseln;

und den Rastlosen ist es immer ein Trost.

 

20.

m Mensch ist in Freude seinem Verwandten lieb,

doch wird einer den anderen betrügen,

deshalb will der Herr durch sein Gericht

der Erde das armselige Fleisch zurückgeben.

 

21.

l Wasser/Meer ist den Leuten beständiger Gedanke,

wenn sie auf schwankendem Schiff zu fahren wagen,

und die Wellen sie gewaltig schrecken,

und das Meerross (→ Schiff) des Zügels nicht achtet.

 

22. 

ŋ Ing wurde zuerst untern den Ostdänen

von den Menschen gesehen, bis er danach ostwärts

über das Meer ging, der Wagen rollte nach.

So nannten die Heardingar diesen Helden.

 

23.

œ Heimat ist jedem Menschen sehr lieb,

wenn er in seinem Hause fröhlich und beständig genießen kann,

was Recht und Gerechtigkeit ist.

 

24.

d Tag ist des Herrn Bote, den Menschen lieb,

herrliches Licht Gottes, Freude und Zuversicht

Reichen und Armen, für alle vorteilhaft.

 

25.

a Eiche ist auf der Erde für die Menschenkinder

Fleisches Nahrung; häufig fährt sie

über des Wasserhuhns Bad (→ Meer), das Meer erweist,

ob die Eiche edle Treue hält.

 

26.

æ Esche ist ehr hoch, den Menschen wert,

fest im Boden, hält recht stand,

auch wenn sie viele Menschen anfallen.

 

27. 

y Eibenbogen? ist allen Edlen und Menschen

Freude und Ehre, ist im Kampf angenehm,

zuverlässig auf der Fahrt, Bestandteil der Ausrüstung.

 

28.

io Wogenross ist im Wasser von Fischart und doch hat es immer die

Gewohnheit, sich auf der Erde mit Futter zu versorgen.

Er besitzt eine[n] schöne[n Platz umgeben mit Wasser, wo er fröhlich lebt auf] Erden.

 

29.

ea Erde/Grab? ist grausam für jeden Menschen,

wenn unaufhaltsam der Körper beginnt,

als Leiche zu erkalten, bleich die Erde

als Bettgenossin zu erwählen: Blätter fallen,

Freuden verschwinden, Menschen werden voneinander getrennt. 


Deutung

Runenlaut

 

Bemerkungen

 

f-Rune

 

 

 

 

 

Im Gegensatz zu den skandinavischen Runengedichten ist bei feoh eine positive Deutung feststellbar. Klar hervor tritt ebenfalls der christliche oder zumindest moralische Charakter. Dom bedeutete in vorchristlicher Zeit "Ruhm des Kriegers", wurde dann später mangels christlichen Wortschatzes in der angelsächsischen Sprache zu "Urteil Gottes" umgedeutet. Domes hleotan kann demnach sowohl "Gottes Anerkennung erlangen" als auch "sein Glück versuchen" im nichtreligiösen Sinne bedeuten.

 

u-Rune

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Rune uru wird insbesondere aufgrund dieser Strophe als Auerochse rekonstruiert. In den skandinavischen Gedichten steht Uruz für Nieselregen. Den Grund dieser Umdeutung im Norden meint man darin zu finden, dass der Auerochse in Island sowie großen Teilen Skandinaviens ausgestorben war und man das Wort úrr kaum noch kannte.

 

Persönliche Meinung: Möglicherweise nicht unter Einbeziehung aller Quellen erscheint mir diese These wenig wahrscheinlich. Da es sich bei uru wie bei cen um ein hapax legomenon (einmalig in der Überlieferung vorkommendes Wort) handelt und in beiden Fällen die skandinavischen Runengedichte nicht mit dem angelsächsischen übereinstimmen, betrachte ich die jeweils unterschiedliche Deutung der Quellen als willkürlich (siehe cen).

 

þ-Rune

 

 

Im angelsächsischen Raum wird die Thurs-Rune meist als þorn übersetzt. Der Grund ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die heidnische Anhaftung des Wortes Thurse.

 

o-Rune

 

 

 

 

Das Wort os spielt in den skandinavischen Runengedichten auf Ase bzw. Odin an. Aufgrund des christlichen Tons des angelsächsischen Gedichts gab es abweichende Meinungen für den hier vorliegenden Text, welche die lateinische Form os, oris für Mund darin sehen wollten. Da ansonsten aber keinerlei Fremdwörter im Gedicht bezeugt sind und Kenningar und einzelne Wörter der Strophe für eine Gottheit sprechen, scheint in diesem Fall tatsächlich Odin gemeint. Dieser heidnische Anklang ist im sonst so christlichen Gedicht allerdings sehr auffällig.

 

r-Rune

 

Rad bedeutet Wagen oder Fahrt und wird hier mit dem Wort Reiten und damit mit Pferd in Verbindung gesetzt.

 

c-Rune

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Name cen stellt im Angelsächsischen ein hapax legomenon dar. Man führt es auf das althochdeutsche chien oder chen zurück, das soviel wie harziger Kieferspan bedeutet und das als Fackel in der Strophe wiedergefunden werden kann.

Wie bei uru ist die Bedeutung der Rune in den skandinavischen Runengedichten eine andere. Dort heißt sie kaun und entspricht 'Geschwür, Krankheit'. Aufgrund der immer wiederkehrenden Bedeutung von kaun = Krankheit in allen germanischen Sprachen, formulierte von Grienberger die These, der ursprüngliche angelsächsische Runenname sei cheon gewesen und erst im Laufe der Zeit zu cen missverstanden worden.

Weil in der angelsächsischen Sprache zwischen der Aussprache von palatal und velar unterschieden wird, gibt es zwei Runen für c: cen und calc.

 

g-Rune

 

 

 

 

Wie bei der c-Rune erhielt auch die gyfu-Rune eine palatale Aussprache, sodass für die velare Aussprache eine neue Rune hinzugefügt wurde: gar

Die in der Strophe angesprochene Gabe ist als Geste der Nächstenliebe gemeint und somit im christlichen Sinne zu deuten.

 

w-Rune

 

 

 

Der Runenname kommt ausnahmsweise nicht im Nominativ, sondern im Genitiv als wenne vor. Grimm und Stanley machten die Grundform im Worte wen 'Hoffnung' aus, Bauer geht von der Form wynn für Wonne aus, da diese in vielen Runica Manuscripta überliefert wird.

 

h-Rune

  

 

Die Strophenform weicht hier plötzlich von den vorigen ab, vielleicht um den Beginn der zweiten ætt anzuzeigen. In hægl finden wir die Beschreibung von Hagelkörnern in verschiedenen Zuständen (hart und flüssig).

 

n-Rune

 

 

Wie in den skandinavischen Gedichten wird nyd auch hier als Not beschrieben, die zwar einerseits als bedrückend wahrgenommen wird, andererseits aber auch die Möglichkeit zur Hilfe bietet. Es klingt wieder die christliche Moral an.

 

i-Rune

 

Die Rune is bezeichnet das Eis und wird in der Strophe ausschließlich mit positiven Bildern konnotiert.

 

j-Rune

 

 

Wie in den anderen Runengedichten wird im angelsächsischen bei ger auf den Fruchtbarkeitscharakter angespielt. Außerdem wird der christliche Gott genannt.

 

ï-Rune

 

 

 

 

Der Lautwert eoh im Großbritannien ist nicht vollständig geklärt. Während die Rune in angelsächsischen Schriftquellen für einen Vokal steht, wurde sie in Nordhumbrien auf Inschriften als Konsonant verwendet.

Wie alle Baumrunen wird auch die Eibenrune mit dem Gegensatz tot-lebendig dargestellt: Einmal als Baum mit Wurzeln, einmal als Brennholz.

 

p-Rune

 

 

 

 

 

 

 

Auch bei peorð handelt es sich um ein hapax legomenon und bis heute konnte keine sichere Deutung vorgenommen werden. Es scheint etwas Fröhliches zu sein, unter anderem wurden schon Spiel, Tanz oder Bogenschießen als Bedeutungen vorgeschlagen.

Die Metrik lässt vermuten, dass der zweite Vers der Strophe unvollständig ist. Verschiedene Wissenschaftler haben bereits versucht, die Lücke auf irgendeine Weise zu schließen, doch da die Möglichkeiten vielfältig sind, kann keine zweifelsfrei bewiesen werden und die beste Methode, um den Text unberührt zu lassen, ist wohl, die Stelle nicht willkürlich aufzufüllen. 

 

x-Rune

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Rune eolhx konnte nicht mit letzter Gewissheit gedeutet werden. In Hickes Abschrift heißt es eohlx seccard, vermutlich müsste es aber eigentlich eohlx secg eard heißen. Je nachdem wo man die Wortgrenze festlegt, erhält man eine andere Bedeutung:

eohlx-secg eard hæfþ = Schilf wurzelt im Sumpf

eohlx secg-erad hæfþ = Elch hat sein Habitat im Sumpf

Der Rest der Strophe bezieht sich auf eine Pflanze, daher geht man gemeinhin von ersterer Bedeutung aus.

Die ursprüngliche Form von eohlx scheint allerdings eolh zu sein, was mit dem germanischen algis zusammenhängt. Das wiederum bedeutet Elch und als solches wird die Algiz-Rune gerne übersetzt.

 

s-Rune

 

 

 

Die Rune sigel steht für die Sonne, wird in der Strophe allerdings auch mit der Schifffahrt assoziiert. Aus diesem Grund ist der Vorschlag von Bragg nachvollziehbar, sigel beziehe sich auf segl 'Segel', als das Wort sigel veraltet geworden war. Auffallend sind die Kenningar für Schiff und Meer, die auf diese Deutung nochmal ein besonderes Gewicht legen.

 

t-Rune

 

 

 

 

Auch die Strophe von tir scheint christlich manipuliert worden zu sein. Obwohl der Name nicht verändert wurde, scheint sie sich weniger auf den Gott als auf ein Sternbild zu beziehen. Da Heiden Sternbildern den Namen von Göttern gaben, wäre es nachvollziehbar, wenn das Sternbild Tir noch ein Relikt dieser Zeit wäre. Von Grienberger meint, in der Strophe sei dreierlei dargestellt: das Schriftzeichen, das Sternbild und der Gott Tyr.

 

b-Rune

 

Der Runenname beorc deutet auf die Birke hin. Dickins allerdings meint darin eine Pappel zu entdecken.

 

e-Rune

 

Neben dem Runennamen eh selbst zeigen auch einige Synonyme die Bedeutung Pferd an.

 

m-Rune

 

 

 

 

 

Wie in den skandinavischen Runengedichten spielt die Strophe von man darauf an, dass Menschen einander Freude bereiten. Im angelsächsischen Gedicht zeichnet sich jedoch ein klar christlicher Ton ab. Wie in der ersten Strophe  von feoh kommt das Wort dom vor, hier eindeutig im christlichen Kontext, was auch für Strophe 1 die These erhärtet, dass die Bedeutung christlich aufzufassen ist.

Hervorgehoben wird, dass das Streben der Menschen nicht ihrem Schicksal entspricht.

 

l-Rune

 

 

 

Die lagu-Rune steht hier eindeutig mit dem Wasser bzw. Meer in Verbindung. Die Verse sind jedoch vor allem bedrohlich, die Schifffahrt als Gefahr angedeutet. Wie in der sigel-Strophe wird das Meer auch hier durch eine Kenning umschrieben.

 

ŋ-Rune

 

 

Die ing-Rune deutet möglicherweise auf den Gott Ing hin, auch wenn unklar ist, ob dieser überhaupt in England verehrt wurde. Es ist die einzige Strophe, die in der Vergangenheitsform verfasst ist.

 

œ-Rune

 

 

Eþel kommt im angelsächsischen Gedicht vor dæg, was auf einigen Brakteaten ebenso bezeugt ist, obwohl es durchaus englische Inschriften umgekehrter ("nordischer") Reihenfolge gibt. Die Rune steht für Heim.

 

d-Rune

 

 

Indem der Tag als Bote Gottes bezeichnet wird, ist die dæg-Strophe eindeutig christlich. Sie ähnelt außerdem der s-Stophe des altnorwegischen Runengedichts.

 

a-Rune

 

 

 

 

 

Die Rune ac steht für die Eiche. Diese wird - typisch für die Baumstrophen - aus zwei Perspektiven erläutert: Einmal werden ihre Eichel als Menschennahrung beschrieben, einmal ihr Holz für den Schiffbau. Zusätzlich finden wir das Wortspiel treowe, was einerseits Treue, andererseits Holz bedeuten kann. Im Vers ist ersteres gemeint, inhaltlich passt letzteres. Die Absicht hinter dem Wortspiel verdeutlicht zudem das Wort habban 'haben' das zu beiden Substantiven passt (anstelle von healdan trywa 'Treue halten', wie man es in der Tir-Strophe findet).

 

æ-Rune

 

 

Auch die Baumrume æsc 'Esche' ist in zwei Zuständen beschrieben. So ist sie einmal der verwurzelte Baum und einmal das Holz für Waffen.

 

y-Rune

 

 

 

 

Der Runenname yr ist nicht erschlossen. Man glaubt ihn aus dem Altnordischen für den Laut y entlehnt; das müsste allerdings zeitlich dann geschehen sein, als die nordische yr-, also Eibenrune noch den Lautwert R, nicht y hatte. In diesem Fall wäre die Eibe im angelsächsichen Runengedicht übrigens zweimal vorhanden, einmal in yr und einmal in eoh (einmal Eibe, einmal Eibenbogen?).

 

io-Rune

 

 

 

 

 

 

Die ior oder iar-Rune entspricht keiner Bedeutung im Angelsächsischen. Von manchen Forschern wird die Meinung vertreten, dass es sich bei ior wie bei den anderen hinzugefügten Runen verhalte, indem man den Lautwert mit einem Endungs-r versehen hätte. Diese Runennamen allein hätten keine Bedeutungen, sondern würden nur mithilfe der Strophe erklärt werden.

In ior glaubt man ein Tier zu erkennen, dass sich an Land ernährt und im Wasser lebt (welches?). Schwab spricht sich für jór 'Pferd' aus, das sowohl das Tier als auch ein Schiff in einer Kenning meinen könnte (Ross der Wogen).

 

ea-Rune

 

 

 

Wie die vorangehenden beiden Runen ist auch die Bedeutung von ear nicht geklärt. Es existiert das angelsächsische Wort ear = Meer, doch das passt nicht zur Strophe. Dort scheint sich eher die Bedeutung Grab zu eignen.

Die letzte Strophe ist sowohl die längste als auch gelungenste. Die Anspielung des Jüngsten Gerichts in Strophe 1 bildet mit der Todesthematik in Strophe 29 eine Ringkomposition. 

Quelle: Bauer Alessia, Runengedichte - Texte, Untersuchungen und Kommentare zur gesamten Überlieferung, Hrsg. Rudolf Simek in: Studia Medievalia Septentrionalia Band 9, 2003