Gab es die Germanen?

Immer wieder begegnet man Stellungnahmen, es habe niemals Germanen gegeben und die Verwendung dieses Namens sei ganz und gar unwissenschaftlich oder schlicht falsch. Tatsächlich begegnen einem die Germanen jedoch ständig, auch in wissenschaftlicher Literatur von renommierten Autoren. Verfehlungen? Oder was hat es damit auf sich?

Das Volk "Germanen"

Es ist reine Definitionssache, so viel kann ich vorwegnehmen. Nachdem der Begriff vor allem im letzten Jahrhundert von völkischen Kreisen verwendet wurde, um auf ein vermeintliches deutsches Erbe hinzudeuten, wird von der modernen Populärkultur der Standpunkt verbreitet, die Germanen hätte es nie gegeben. Tatsächlich, die Germanen gab es nicht. Es gab keine Gruppe "Urdeutscher", deren Gene direkt in den nationalsozialistischen Arier übergingen. Doch während die Medien noch immer auf dieser alten Verfehlung herumkauen, hat sich die Forschung zumindest in der Beziehung von dem nachkriegszeitlichen Schock erholt und eine differenziertere Erklärung dazu abgegeben: Es gab Germanen, aber nicht als homogene Gruppe.

 

Als Germanen bezeichnet man eine Völkergruppe, die in der späten Eisenzeit bis ins frühe Mittelalter einen zentralen Teil Europas besiedelte, und ihr Territorium im Zuge der Völkerwanderung beträchtlich ausdehnte. Diese sogenannten Germanen sind allerdings als höchst heterogen zu verstehen und bestanden aus vielen verschiedenen Völkern, die sich im Laufe der Zeit mischten und trennten. In keinem Moment kann man bei den Germanen von einem einzelnen Stamm sprechen, der dieselbe Sprache sprach und dieselbe Kultur pflegte, wenngleich sie sicherlich miteinander verwandt waren und sich ihre Religion, Riten und Sprache geähnelt haben.

In der Wissenschaft hat sich mittlerweile der Begriff Nordischer Kreis für die Gebiete gefestigt, die Germanen besiedelten.

 

Wir wissen von den Germanen so gut wie nichts und vor allem kaum etwas wirklich Sicheres. Aus diesem Grund sind wir bei dem Thema auf Thesen und Interpretationen angewiesen. Unsere Quellen sind rein archäologischer und toponomastischer Natur, das heißt, es werden Schlussfolgerungen anhand von geographischen Namen gezogen. Insbesondere in der Toponomastik gibt es allerdings Unsicherheiten der Chronologie, weshalb bei der Interpretation noch mehr Vorsicht geboten ist.

Die Jastorf-Kultur befand sich im dunkelroten Gebiet
Die Jastorf-Kultur befand sich im dunkelroten Gebiet

Anders als lange Zeit vermutet, stammten die Germanen wohl nicht aus dem Gebiet Nordeuropas und Skandinaviens, sondern aus der Umgebung des heutigen Schleswig-Holsteins. Hier fand man im Jahr 1897 Spuren einer Kultur, die heute als Jastorf-Kultur bezeichnet wird, da sie im Jastorfer Moor gefunden wurde. Diese Entdeckungen sind die ersten Funde von Germanen und werden etwa auf das 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datiert.

Die Herkunftstheorie ist natürlich - wie der Name schon sagt - nichts weiter als eine Theorie und wird in der Forschung ebenfalls angefochten.

So wird beispielsweise in Betracht gezogen, dass die Jastorf-Kultur, die erhebliche Ähnlichkeiten mit den Kulturen von Jütland und Südschweden einerseits und den Kelten andererseits aufweist, eine Fusion verschiedener ethnischer Gruppen ist.

Dagegen sprechen allerdings die oben schon genannten toponomastischen Daten, welche rein germanische Schlüsse zulassen. Problematisch ist hierbei die ebenfalls schon genannte Schwierigkeit, diese Daten zeitlich zuzuordnen.

Die germanische Sprache

In der indoeuropäischen Sprachgeschichte kommt man um das Germanische kaum herum. Als Germanisch oder Protogermanisch wird die Sprache verstanden, die zwischen dem Indoeuropäischen und den west- (beispielsweise Altenglisch und Althochdeutsch), nord- (Altnordisch) und ostgermanischen (beispielsweise Gotisch und Vandalisch) Sprachfamilien steht.

Es ist gesichert, dass sich zwischen diesen Sprachen und dem Indogermanischen eine Zwischenstufe befunden haben muss, da bei all diesen Sprachen die erste konsonantische Lautverschiebung stattgefunden hat - und es wäre unwahrscheinlich, dass dies bei diesen Sprachen unabhängig voneinander geschehen wäre.

Die Sprache, in der also die Lautverschiebung stattfand, wird als das Germanische bezeichnet. Sie wurde in keinerlei schriftlicher Quelle nachgewiesen und musste daher rekonstruiert werden. Fest steht dennoch, dass es sie auf die eine oder andere Weise gab.

Vollkommen unabhängig davon, ob es die Germanen als Volk also gab, kann man das Wort "Germanen" durchaus als Sammelbegriff für die Sprecher der protogermanischen Sprachfamilie verwenden, die aus wissenschaftlicher Sicht unabdingbar ist.

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